Wellensittiche sind klein und gebrechlich. Daher kann jede Operation ein potenzielles Sicherheitsrisiko darstellen. Dies gilt allerdings nicht nur für den Eingriff selbst, sondern auch für die zuvor einzuleitende Narkose. Welche Möglichkeiten der Narkose es beim Wellensittich gibt und mit welchen Risiken diese verbunden sind, darauf gehen wir in diesem Artikel ein.
In welchen Fällen ist eine Narkose beim Wellensittich notwendig?
Es gibt verschiedene Situationen, in denen eine Vollnarkose (Allgemeinanästhesie) beim Wellensittich notwendig ist, und zwar:
Bei schmerzhaften Behandlungen und Operationen
Für den kleinen, zerbrechlichen Wellensittich kann selbst die Wundversorgung mit großen Schmerzen verbunden sein. Um diese zu verhindern und dem Welli möglichst wenig Stress zu bereiten (denn dieser kann für den Wellensittich tödlich sein!), ist unter Umständen eine Vollnarkose sinnvoll.
Gleiches gilt natürlich für Operationen, denn diese sind für den Welli immer mit Schmerzen und Stress verbunden.
Um den Vogel und den Tierarzt zu schützen
Bei vielen Behandlungen geraten Wellensittiche in Panik, sodass ihr Körper automatisch mit einer Abwehrbewegung reagiert, die der Vogel nicht kontrollieren kann. Dies kann nicht nur für das Tier selbst, sondern auch für den Arzt zur echten Gefahr werden. Auch in einem solchen Fall kann daher eine Narkose sinnvoll sein.
In diesen Fällen ist eine Narkose für den Wellensittich in der Regel unumgänglich
- Wenn Federn abgebrochen oder beschädigt sind und daher gezogen werden müssen
- Wenn die Gelenke und das Skelett untersucht werden müssen
- Beim Einsetzen eines Mikrochips
- Wenn der Schnabel gerichtet oder anderweitig behandelt werden muss (auch beim Anbringen einer Schnabelprothese)
- Wenn eine Gewebsprobe entnommen werden muss (Biopsie)
- Bei einer Magenspiegelung (Gastroskopie)
- Wenn der Welli eingeschläfert werden muss
- Bei einer inneren Untersuchung (Endoskopie)
- Wenn die Luftröhre untersucht werden muss (Tracheoskopie)
- Bei einer Untersuchung der Nase und der Atemwege (Rhinoskopie)
Es gibt auch vogelkundige Tierärzte, die sich für eine Vollnarkose bei Blutentnahme oder beim Röntgen entscheiden. Ob diese wirklich notwendig ist, darüber scheinen sich selbst die Experten nicht einig zu sein.
Wichtig!
Wellensittiche, die an Über- oder Untergewicht leiden, sollten nicht narkotisiert werden, da dies ein unkalkulierbares Risiko währe. Übergewichtige Vögel müssen zunächst abnehmen, während untergewichtige Vögel aufgepäppelt werden sollten.
Wie erfolgt die Narkose beim Wellensittich?
Für die Vollnarkose können generell entweder die Injektion oder die Inhalation verwendet werden. Viele Jahre lang setzte man auf die Injektion. Da die Inhalations-Narkose für den Wellensittich jedoch einige Vorteile bietet und zudem weniger Gefahren birgt, wird meist nur noch diese Variante verwendet.
Lediglich wenn der Wellensittich eingeschläfert werden soll, wird die Injektions-Narkose angewendet.
Worin liegen die Vorteile der Inhalations-Narkose beim Wellensittich?
- Narkose erfolgt durch Inhalation, also durch das Einatmen eines Gemisches aus Narkosegas und Sauerstoff
- Die Tiefe der Narkose kann jederzeit an die aktuellen Gegebenheiten angepasst werden
- Risiko bakterieller Entzündungen durch die Injektion wird vermieden
Schon gewusst?
Als Narkosegase kommen heute übrigens nur noch Isofluran oder Sevofluran infrage.
Wie wird eine Operation unter Vollnarkose beim Wellensittich durchgeführt?
Das Narkosegas wird mittels einer Atemmaske verabreicht, sodass der Welli es inhaliert. Hierfür und auch für die Überwachung der Narkose sowie des aktuellen Gesundheitszustandes des Wellis ist ein Anästhesist (Narkosearzt) zuständig.
Die Operation hingegen wird von einem Chirurgen durchgeführt. Während der OP ist zudem eine weitere fachkundige Person anwesend, die die Instrumente reichen kann.
Wichtig!
Die Narkose muss streng protokolliert werden, sollte es zu einem Zwischenfall kommen.
Das ist vor der Narkose zu beachten
Zunächst einmal ist es wichtig, den Allgemeinzustand des Wellensittichs festzustellen, denn die Operation darf nur durchgeführt werden, wenn keine schweren Beeinträchtigungen vorliegen.
Leidet der Welli also beispielsweise an einer Infektion, ist eine OP nicht zulässig, da diese für den Vogel mit einer hohen Gefahr verbunden wäre. Ob dies der Fall ist, stellt der Tierarzt durch eine allgemeine Untersuchung sowie durch eine vorherige Blutentnahme fest.
Vor der Narkose ist zudem Folgendes Wichtig:
- Je nach Größe und Gewicht darf der Vogel eine bis drei Stunden vor der OP nichts fressen oder trinken (Beachten Sie diesbezüglich die individuellen Anweisungen Ihres vogelkundigen Tierarztes!). Dies ist wichtig, damit im Kropf befindliche Futterreste nicht in die Luftröhre gelangen
- Vor der OP kann ein Beruhigungsmittel verabreicht werden, wenn sich herausstellt, dass der Welli besonders aufgeregt sind
- Da die Narkose-Mittel keine Schmerzen lindern, wird der Tierarzt zudem ein Schmerzmittel spritzen
So läuft die Narkose beim Wellensittich ab
Wurden alle vorbereitenden Maßnahmen durchgeführt, kann die Narkose eingeleitet werden. Hierzu wird der Welli zunächst fixiert, ehe ihm die Atemmaske aufgesetzt wird. Nun strömt das Gas in den Vogelkörper und entfaltet seine Wirkung. Die Muskeln erschlaffen, was am besten an den Augen zu erkennen ist. Sobald die Narkose vollständig wirkt, wird die Fixierung gelöst, sodass der Operateur ungehindert seinen Eingriff durchführen kann.
Die Menge an Narkosemitteln wird bereits kurz nach vollständiger Erschlaffung der Muskeln wieder reduziert.
Diese weiteren Maßnahmen sind bei der Operation des Wellensittichs wichtig
Um den Gesundheitszustand des Wellensittichs während der OP im Blick zu behalten und den Vogel zu stabilisieren, werden weitere Maßnahmen durchgeführt.
Versorgung mit Flüssigkeit
Während der OP wird der Welli mit ausreichend Flüssigkeit versorgt. Dies erfolgt entweder intravenös (über die Vene) oder subkutan (unter der Haut).
Wärmeversorgung
Eine sinkende Körpertemperatur kann für den Welli gefährlich werden. Deshalb werden für die OP entweder Wärmematten unterhalb oder Wärmestrahler oberhalb des Vogels verwendet, um die Körpertemperatur auf dem gewünschten Level zu halten.
Schon gewusst?
Eine zusätzliche Überwachung der Körpertemperatur erfolgt mittels Sonde, die in den Kropf oder in die Kloake eingeführt werden kann.
Kontrolle der Herzfunktion mittels EKG
Während der OP muss die Herzfrequenz des Wellis durchgängig kontrolliert werden. Dies erfolgt mittels Stethoskop. Ein EKG wird zudem eingesetzt, um Abweichungen im Herzrhythmus festzustellen. Die Sonden hierfür werden beim Wellensittich am Bein und am Kopf befestigt.
Kontrolle der Atmung
Die Atemkontrolle erfolgt entweder visuell, sodass das Heben und Senken des Bauches beobachtet werden muss, oder über ein Monitoring. Dabei werden die Atemzüge in akustische Signale umgewandelt, sodass es nicht notwendig ist, den gefiederten Patienten die ganze Zeit über zu beobachten.
Kontrolle des Blutdrucks
Der Blutdruck ist ein wichtiger Signalgeber dafür, ob mit dem Welli alles in Ordnung ist oder nicht. Noch bevor andere Vitalparameter Alarm schlagen, fällt meist der Blutdruck stark ab. Er muss daher während der gesamten OP überwacht werden.
Kontrolle der ausgeatmeten Luft
Es ist wichtig, dass der Vogel das Kohlendioxyd ausatmet, da es ansonsten zu Vergiftungserscheinungen kommen kann. Deshalb wird auch dies streng überwacht.
Überwachung der Reflexe
Die Narkose muss tief genug sein, damit der Welli von der OP nichts mitbekommt, sie darf aber nicht zu tief sein. Deshalb werden die Reflexe des Wellis immer wieder getestet, beispielsweise durch ein kurzes Kneifen oder durch das Berühren des Auges mit einem Wattestäbchen.
Zusätzliche Beatmung
Bei langen OPs muss teilweise eine Intubation durchgeführt werden. Der Vogel wird also durch einen Schlauch beatmet, der direkt in die Luftröhre gelegt wird. Kommt es zu einem Atemstillstand, kann direkt über den Tubus beatmet werden.
So wird die Narkose beim Wellensittich ausgeleitet
Ist die Operation beendet, bekommt der Vogel nur noch reinen Sauerstoff, während das Narkosegas nicht mehr zugeführt wird. Es ist nun zu erkennen, dass die Reflexe zunehmend wieder einsetzen. Dies dauert meist nur wenige Minuten.
Was ist nach einer Narkose beim Wellensittich zu beachten?
Wellensittiche reagieren beim Aufwachen aus der Narkose meist panisch, da sie nicht wissen, wo sie sind und was mit ihnen passiert. Deshalb werden sie normalerweise in ein kleines Handtuch eingewickelt und von einer Schwester in den Händen gehalten.
Erst wenn der Tierarzt sicherstellen kann, dass die Orientierung vollständig wieder eingesetzt hat und auch ansonsten mit dem kleinen Patienten alles in Ordnung ist, kann er in seine Box umgesiedelt werden, wo er sich von der OP erholen wird. Nach spätestens einer halben Stunde wird er wieder fröhlich auf einer Stange sitzen können.
Wann der Welli nach der OP wieder fressen darf, legt der Tierarzt individuell fest, denn hierbei kommt es vor allem auf die Größe und auf das Gewicht des gefiederten Patienten an.
Wellensittich Narkose – Risiko oder nicht?
Eine Narkose ist immer mit einem gewissen Risiko behaftet, ganz egal ob ein Mensch, ein Hund oder ein Wellensittich operiert werden muss. Leider gibt es nach wie vor Risikofaktoren, die nicht kalkuliert werden können. Hierzu gehören beispielsweise das Alter sowie Vorerkrankungen.
Deshalb muss der Narkosearzt unbedingt über eventuelle Vorerkrankungen in Kenntnis gesetzt werden, um unter anderem Probleme mit der Atmung und einen Blutdruckabfall zu verhindern und sicherzustellen, dass das Herz-Kreislauf-System stark genug für die OP ist.
Auch ein kranker Vogel ist bei der Narkose einem erhöhten Risiko ausgesetzt. Deshalb wird der Tierarzt vorher unter Einbeziehung aller Fakten abwägen, ob eine Narkose inklusive OP möglich ist oder nicht.